· 

Stammzellen der Muttermilch wandern auch ins Hirn

Eine im Februar 2019 veröffentlichte Studie von Foteini Kakulas wirft ein neues Licht auf diesen Zelltransfer. Hier sind die wichtigsten Punkte basierend auf dem Original-Artikel: http://milkgenomics.org/article/even-to-the-brain-yes-breastmilk-stem-cells-do-transfer-to-organs-of-offspring/

 

- Muttermilch enthält Stammzellen, die durch den Darm wandern und in das Blut des gestillten Kindes gelangen können.

 

- Durch das Blut gelangen diese Stammzellen aus der Muttermilch zu verschiedenen Organen, darunter dem Gehirn, wo sie in funktionelle Zellen umgewandelt werden.

 

- Dieser Transfer von Muttermilchstammzellen von der Mutter auf die Nachkommenschaft scheint mehr als nur ein zufälliges Ereignis zu sein, er übermittelt möglicherweise wichtige Entwicklungsmerkmale.

 

- Die zukünftige Forschung muss sich darauf konzentrieren, wie dieses Phänomen medizinisch reproduziert werden kann, z.B. um das Überleben und die Entwicklung von Frühgeborenen zu unterstützen, da Einfrieren von Muttermilch die lebendigen Zellen abtötet.

 

Menschliche Zellen in der Muttermilch

 

Es ist schon seit einigen Jahrzehnten bekannt dass menschliche Zellen in der Muttermilch vorhanden sind, aber die Tatsache, dass darunter auch Stammzellen zu finden sind, war unbekannt bis zwischen 2007 und 2012 einige revolutionäre Berichte von Forschungsmitgliedern der Gruppe um Professor Peter Hartmann an der University of Western Australia veröffentlicht wurden.

 

Die Frage ist nun: was geschieht mit diesen Stammzellen?

 

Studien [3,7,8] zeigten dass Milchstammzellen tatsächlich im Magen-Darm-Trakt der Nachkommen überleben, und von dort aus in das Blut und das Gehirn der Kinder übertragen werden. Dort werden sie durch spezifische mikroökologische Hinweise des Gehirns zu spezialisierten Hirnzellen zweier Typen umgewandelt: Neuronale und Gliale Zellen, den beiden wichtigsten Gehirnzelltypen.

 

Was ist mit der Blut-Hirn-Schranke?

 

Was diese Entdeckung noch spannender macht, ist die Tatsache, dass alle Menschen eine Blut-Hirn-Schranke haben. Ihr Zweck ist es, einen selektiven Austausch zum und vom Gehirn zu ermöglichen, mit der offensichtlichen Notwendigkeit, dieses wichtige Organ zu schützen. Nur sehr wenige Zellen sind in der Lage, diese zu passieren.

 

Bei Neugeborenen ist diese Barriere jedoch durchlässig und ermöglicht einen vermehrten Austausch im Gegensatz zu Erwachsenen[9,10]. Und Muttermilchstammzellen gehören zu den wenigen auserwählten Zellen, die diese Barriere überwinden und ins Gehirn gelangen können!

 

Mikrochimerismus**

 

Dieses Phänomen der Übertragung und Integration von Fremdzellen in einen Organismus wird als Mikrochimerismus bezeichnet und ist häufiger anzutreffen, als wir denken. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass ein solcher Zellaustausch bereits während der Schwangerschaft wechselseitig zwischen Mutter und Embryo auftritt, wobei embryonale Zellen lebend sind und viele Jahre nach der Geburt des Kindes in das Gehirn der Mutter und andere Organe integriert werden und dort bleiben[11,12].

 

Umgekehrt kann der mütterliche Mikrochemismus, die Übertragung mütterlicher Zellen auf die Nachkommen, nicht nur im Uterus, sondern auch während der Laktation - also über die Muttermilch - erfolgen[11-15]. Dies war bereits zuvor für immunspezifische Milchzellen oder auch nicht definierte Milchzellen nachgewiesen worden[13-15].

 

Nun haben zwei unabhängige Arbeitsgruppen dies erstmals für Muttermilchstammzellen in zwei Mausmodellen gezeigt[2,3,7,8]. Faszinierend ist, dass es allen Grund zu der Annahme gibt, dass diese Stammzellen aktive und funktionelle Teile des Körpers junger Menschen werden[2,3,16].

 

Natürlich erhält das gestillte Baby neben den Stammzellen auch Immunzellen aus Muttermilch[6,8]. Es hat sich gezeigt, dass diese beiden Arten von Milchzellen neben anderen Organen auch im Thymus des Säuglings vorkommen[3,8]. Der Thymus ist für die Reifung unserer Immunzellen verantwortlich. Aus diesem Grund wird angenommen, dass durch die Anreicherung von Muttermilchzellen im Thymus sowohl die zelluläre Toleranz zwischen Mutter und Kind als auch die Reifung des Immunsystems des Kindes begünstigt werden[7,8,17].

 

Zusammen mit dem Nachweis, dass chimäre Zellen langfristig in den Nachkommen überleben und weiterbestehen[16], deuten die Ergebnisse darauf hin, dass der mütterliche Mikrochimerismus bei Nachkommen kein Zufallsereignis ist, sondern eine globale, gut konzipierte und spezifisch orchestrierte Eigenschaft des Stillens ist, die darauf abzielt, eine optimale Entwicklung zu stimulieren und multilateral zu unterstützen und das Baby vor Infektionskrankheiten zu schützen[7, 8].

 

Tatsächlich ist seit langem bekannt, dass das Stillen Säuglingen Immunschutz bietet. Weniger bekannt ist, dass dieser Schutz wahrscheinlich nicht nur durch die immunschützenden Moleküle in der Muttermilch (wie Immunglobuline, Zytokine, etc.), sondern auch durch Immunzellen und Milchstammzellen erleichtert wird[8].

 

Was ist mit Kindern, die keine solchen lebenden Zellen bekommen?

 

Gefrorene oder gekühlte Muttermilch enthält keine lebenden Zellen mehr. Welche langfristigen Folgen hat dies für ein Kind, das keine frische Muttermilch erhalten hat? Und bietet verlängertes Stillen zusätzliche zelluläre Vorteile gegenüber kürzeren Stillzeiten?

 

Frühgeborene erhalten meist gefrorene Muttermilch oder pasteurisierte Spendermilch. Wie ideal ist dies für sie? Zellen in der Muttermilch können nicht überleben wenn die Muttermilch eingefroren, für mehrere Stunden gekühlt oder pasteurisiert wird[8].

 

Molès et al (2018) bezeichneten die Muttermilch zu Recht als "postnatales mütterliches Blut", durch das eine Vielzahl von löslichen und zellulären Wirkfaktoren an die Nachkommen abgegeben werden, wodurch die Schwangerschaftsperiode fortgesetzt wird[17].

 

Erkennen wir die medizinische Tragweite und die Bedeutung dieses Phänomens? Es ist klar, dass es dringend notwendig ist, die Grundlagen- und angewandte Forschung in diesem Bereich zu intensivieren, um all diese Fragen zu beantworten.

 

** Definition des Mikrochimerismus

Mikrochimerismus/Mikrochimärismus = Überleben von Fremden Zellen in einem Körper. Es finden sich fetale Zellen im mütterlichen Organismus und mütterliche Zellen im kindlichen Organismus. Eine Mischung aus genetisch unterschiedlichen Zellen, insbesondere der Transfer von fötalen Zellen in den mütterlichen Organismus oder von mütterlichen Zellen in den fötalen Organismus.

 

 

Quellen und Referenzen des Artikels von Prof. Foteini Kakulas

 

1. Barinaga M (2002). Cells exchanged during pregnancy live on. Science 296:2169-2172.

 

2. Aydin MS, Yiğit EN, Vatandaşlar E, Erdoğan E, Öztürk G (2018). Transfer and integration of breast milk stem cells to the brain of suckling pups. Scientific Reports 8:14289.

 

3. Hassiotou F, Mobley A, Geddes DT, Hartmann PE, Wilkie T (2015). Breastmilk imparts the mother’s stem cells to the infant. FASEB Journal 29:876.

 

4. Cregan MD, Fan Y, Appelbee A, Brown ML, Klopcic B, Koppen J, Mitoulas LR, Piper KM, Choolani MA, Chong YS, Hartmann PE (2007). Identification of nestin-positive putative mammary stem cells in human breastmilk. Cell and Tissue Research 329:129-136.

 

5. Hassiotou F, Beltran A, Chetwynd E, Stuebe AM, Twigger AJ, Metzger P, Trengove N, Lai CT, Filgueira L, Blancafort P, Hartmann PE (2012). Breastmilk is a novel source of stem cells with multilineage differentiation potential. Stem Cells 30(10):2164-2174.

 

6. Hassiotou F, Geddes DT, Hartmann PE (2013). Cells in human milk: state of the science. Journal of Human Lactation 29(2):171-182.

 

7. Hassiotou F, Hartmann PE (2014). At the dawn of a new discovery: The potential of breast milk stem cells. Advances in Nutrition 5:770-778.

 

8. Kakulas F (2015). Breast milk: a source of stem cells and protective cells for the infant. Infant 11(6):187-191.

 

9. Matsushita T, Kibayashi T, Katayama T, Yamashita Y, Suzuki S, Kawamata J, Honmou O, Minami M, Shimohama S (2011). Mesenchymal stem cells transmigrate across brain microvascular endothelial cell monolayers through transiently formed inter-endothelial gaps. Neuroscience Letters 502:41-45.

 

10. Ek CJ, Dziegielewska KM, Habgood MD, Saunders NR (2012). Barriers in the developing brain and neurotoxicology. Neurotoxicology 33:586-604.

 

11. Zhou L, Yoshimura Y, Huang Y, Suzuki R, Yokoyama M, Okabe M, Shimamura M (2000). Two independent pathways of maternal cell transmission to offspring: through placenta during pregnancy and by breastfeeding after birth. Immunology 101:570-580.

 

12. Dutta P, Burlingham WJ (2010). Stem cell microchimerism and tolerance to non-inherited maternal antigens. Chimerism 1:2-10.

 

13. Weiler IJ, Hickler W, Sprenger R (1983). Demonstration that milk cells invade the suckling neonatal mouse. American Journal of Reproductive Immunology 4:95-98.

 

14. Jain L, Vidyasagar D, Xanthou M, Ghai V, Shimada S, Blend M (1989). In vivo distribution of human milk leucocytes after ingestion by newborn baboons. Archives of Disease in Childhood 64:930-933.

 

15. Michie CA (1998). The long term effects of breastfeeding: a role for the cells in breast milk? Journal of Tropical Pediatrics 44:2-3.

 

16. Maloney S, Smith A, Furst DE, Myerson D, Rupert K, Evans PC, Nelson JL (1999). Microchimerism of maternal origin persists into adult life. The Journal of Clinical Investigation 104:41-47.

 

17. Molès JP, Tuaillon E, Kankasa C, Bedin AS, Nagot N, Marchant A, McDermid JM, Van de Perre P (2018). Breastmilk cell trafficking induces microchimerism-mediated immune system maturation in the infant. Pediatric Allergy and Immunology 29:133-143.

 

Contributed by

Prof. Foteini Kakulas (formerly Hassiotou)

Adjunct Research Fellow

University of Western Australia